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Latent Soils

Installation, diverse Materialien 
Kunstraum Lakeside, 1. Oktober - 5. November, 2021

Mit Latent Soils lotet Hornek das „Potenzial sinnesbasierter Praktiken“ aus, wie es die Künstlerin selbst ausdrückt. Ihr geht es dabei nicht nur darum „die sich neu bildenden Archive des Anthropozäns rational zu erfassen“, sondern Formate zu schaffen, die es den Rezipient*innen ermöglichen, „sie zu imaginieren, zu fühlen und sich mit ihnen zu verbinden“. Es gilt diesem, so Hornek, „schwer zugänglichen, komplexen, sich ständig verändernden künstlichen Boden der Stadt einen Körper zu geben“. Diese raum-zeitliche Entität entsteht in der Rezeption von Latent Soils, wobei die einzelnen Teile der Ausstellung unterschiedliche Zugänge und Annäherungen erlauben.

Worte wie „Knochen | Betondecke | Kalkeinlagen | gel | hellgrau | Wurzelreste | bunt | Grasnarbe | kantig | rostbraun | Ziegelresten | brüchig | Glasscherben | rund) | 100mm | Holzstücke | hellbraungrün | erdig | fest | steif | nan | Metall | Hausmüll | 50mm | 5,00 % | lehmiger“ sind in einer Videoinstallation zu lesen und im ganzen Raum zu hören. Es handelt sich um sämtliche Wörter, die bisher im Bohrkernkataster der Stadt Wien verwendet wurden, um den von Menschen modifizierten Boden von Wien seit 1831 zu erfassen. Die 87.963 Materialeinträge wurden – inklusive Fehler, Beschreibungsvarianten, Abkürzungen und Kombinationen mit Satzzeichen – nach ihrer Häufigkeit gereiht und in einer achtstündigen Session von der Performerin Sabina Holzer eingelesen. Die lange Liste an Benennungen und das allmähliche Ermüden der Stimme machen das Ausmaß der menschlichen Eingriffe fassbar. Unterschiedliche Schreibweisen von einzelnen Begriffen machen darüber hinaus deutlich, dass sich der Bohrkernkataster der Arbeit einer Vielzahl von Personen über einen langen Zeitraum und somit kollektiver Autor*innenschaft verdankt. Der am häufigsten verwendete Begriff dabei ist „Ziegel“, das wichtigste anorganische Baumaterial der Stadt seit den Römern. An zweiter Stelle steht bereits Beton, der in Wien erst seit dem 19. Jahrhundert in Gebrauch ist – ein Hinweis darauf, wie rasant sich die Umformung der Erdoberfläche in letzter Zeit beschleunigt hat.                    

Während die Videoinstallation gänzlich auf Worte fokussiert, ist auf fünf liegenden Monitoren Bildmaterial zu sehen, das aus der Datenbank der Wiener Stadtarchäologie stammt. Diese ursprünglichen Fotos dokumentieren die stete Umstrukturierung des Bodens der Stadt und sind somit zentral für das visuelle Erfassen der damit einhergehenden massiven Transformationsprozesse. Die Künstlerin ließ tausende Bilder aus dem archäologischen Archiv der Stadt in den StyleGAN-Generator der Plattform Runway einspeisen, der daraus neue Bilder generierte. Style Generative Adversarial Networks (kurz StyleGAN) lernen anhand riesiger Datenmengen die Parameter von Bildtypen, um darauf aufbauend neue Bilder zu schaffen. Fotografische Aufnahmen von realen Menschen oder Landschaften können so neue Darstellungen mit großer, visueller Überzeugungskraft hervorbringen. Hornek nutzt diese Deep-Learning-Algorithmen, um Bilder dessen entstehen zu lassen, was (noch) nicht ist. Aneinandergereiht zu Filmen, bewirkt die ständige Transformation der Bilder, dass wir den festen Boden unter uns als geformt und unstatisch wahrnehmen können. Anders als das Material, das in den Archiven der Stadt bewahrt wird, erfassen die Bilder der StyleGANs nicht Vergangenes, sondern schaffen durch Rekombinationen einen Raum von Möglichkeiten. Sie werfen somit einen Blick auf eine von unzähligen, möglichen Zukünften.

Katrin Hornek überführt dieses Potenzial zurück in den analogen Raum, indem sie digitale Objekte, die im Prozess der synthetischen Bilderzeugung geschaffen wurden, als Skulpturen analoge Gestalt annehmen lässt. Latent Soils ermöglicht im Kunstraum Lakeside, die Formung des Grunds – in den Worten der Künstlerin – „auf molekularen und planetarischen Skalen, durch multiple Agent*innen und Kräfte in einem Zusammenspiel von menschlichen und nichtmenschlichen Anteilen“ zu begreifen. Begreifen bedeutet in diesem Zusammenhang weniger ein rationales Erfassen als das Gespür für Größen und Zeitspannen.  

 

Produktion & künstlerische Begleitung: TE-R

Mit herzlichem Dank an: Kira Lappé, Martin Mosser (Stadtarchäologie Wien) und Bruno Szenk

Mit finanzieller Unterstützung von: WWTF

Text: Gudrun Ratzinger

Latent Soils, Ausstellungsansicht
Foto: Johannes Puch

 

Katrin Hornek Latent Soils
Latent Soils, Ausstellungsansicht
Foto: Johannes Puch
Katrin Hornek Latent Soils

Der Boden von Wien, 2021

Video, 4K, Sound, Bildschirmaufnahme, 5:17h 

Materialbeschreibungen aller menschlich verursachten Ablagerungen im Boden von Wien. Geordnet nach der Häufigkeit ihrer Nennung: von der häufigsten zur geringsten. Foto: J. Puch

Katrin Hornek Latent Soils

Latent Soils, 2021

5 HD-Videos, Runway generierte Bilder (Machine Learning Tool), die mit dem digitalisierten Fotoarchiv der Stadtarchäologie Wien trainiert wurde, je rund 19 Min.: Frankhplatz, Rennweg 52, Marchettigasse, Steinergasse 16, Wipplingerstraße. Foto: J. Puch

Katrin Hornek Latent Soils

Algorithmic forms casted in disturbed soils (Thaliastraße), 2021

Zement, Bauschutt, Farbpigmente, Steinpolitur. Von Runway (Machine Learning Tool) generierte Formen, trainiert mit dem  digitalisierten Fotoarchiv der Abteilung für Stadtarchäologie (Wien), gegossen in Ausgrabungsmaterial der Thaliastraße. 

Katrin Hornek Latent Soils

Algorithmic forms casted in disturbed soils (Thaliastraße), 2021

Zement, Bauschutt, Farbpigmente, Steinpolitur. Foto: J. Puch

Katrin Hornek Latent Soils

Algorithmic forms casted in disturbed soils (Thaliastraße), 2021

Zement, Bauschutt, Farbpigmente, Steinpolitur. Foto: J. Puch

Katrin Hornek Latent Soils

Erdrekorder, 2021

Photogrammetrie. Probenrad einer am Karlsplatz entnommen und aufbereiteten Bodenprobe, die Spuren des künstliches Radionuklid-Fallout-Signals in sich trägt. Diese Signal stammt vom globalen Fallout der oberirdischen Atombombentests zwischen 1952–1964. Foto: J. Puch

Katrin Hornek Latent Soils

Mit Latent Soils lotet Hornek das „Potenzial sinnesbasierter Praktiken“ aus, wie es die Künstlerin selbst ausdrückt. Ihr geht es dabei nicht nur darum „die sich neu bildenden Archive des Anthropozäns rational zu erfassen“, sondern Formate zu schaffen, die es den Rezipient*innen ermöglichen, „sie zu imaginieren, zu fühlen und sich mit ihnen zu verbinden“. Es gilt diesem, so Hornek, „schwer zugänglichen, komplexen, sich ständig verändernden künstlichen Boden der Stadt einen Körper zu geben“. Diese raum-zeitliche Entität entsteht in der Rezeption von Latent Soils, wobei die einzelnen Teile der Ausstellung unterschiedliche Zugänge und Annäherungen erlauben.

Worte wie „Knochen | Betondecke | Kalkeinlagen | gel | hellgrau | Wurzelreste | bunt | Grasnarbe | kantig | rostbraun | Ziegelresten | brüchig | Glasscherben | rund) | 100mm | Holzstücke | hellbraungrün | erdig | fest | steif | nan | Metall | Hausmüll | 50mm | 5,00 % | lehmiger“ sind in einer Videoinstallation zu lesen und im ganzen Raum zu hören. Es handelt sich um sämtliche Wörter, die bisher im Bohrkernkataster der Stadt Wien verwendet wurden, um den von Menschen modifizierten Boden von Wien seit 1831 zu erfassen. Die 87.963 Materialeinträge wurden – inklusive Fehler, Beschreibungsvarianten, Abkürzungen und Kombinationen mit Satzzeichen – nach ihrer Häufigkeit gereiht und in einer achtstündigen Session von der Performerin Sabina Holzer eingelesen. Die lange Liste an Benennungen und das allmähliche Ermüden der Stimme machen das Ausmaß der menschlichen Eingriffe fassbar. Unterschiedliche Schreibweisen von einzelnen Begriffen machen darüber hinaus deutlich, dass sich der Bohrkernkataster der Arbeit einer Vielzahl von Personen über einen langen Zeitraum und somit kollektiver Autor*innenschaft verdankt. Der am häufigsten verwendete Begriff dabei ist „Ziegel“, das wichtigste anorganische Baumaterial der Stadt seit den Römern. An zweiter Stelle steht bereits Beton, der in Wien erst seit dem 19. Jahrhundert in Gebrauch ist – ein Hinweis darauf, wie rasant sich die Umformung der Erdoberfläche in letzter Zeit beschleunigt hat.                    

Während die Videoinstallation gänzlich auf Worte fokussiert, ist auf fünf liegenden Monitoren Bildmaterial zu sehen, das aus der Datenbank der Wiener Stadtarchäologie stammt. Diese ursprünglichen Fotos dokumentieren die stete Umstrukturierung des Bodens der Stadt und sind somit zentral für das visuelle Erfassen der damit einhergehenden massiven Transformationsprozesse. Die Künstlerin ließ tausende Bilder aus dem archäologischen Archiv der Stadt in den StyleGAN-Generator der Plattform Runway einspeisen, der daraus neue Bilder generierte. Style Generative Adversarial Networks (kurz StyleGAN) lernen anhand riesiger Datenmengen die Parameter von Bildtypen, um darauf aufbauend neue Bilder zu schaffen. Fotografische Aufnahmen von realen Menschen oder Landschaften können so neue Darstellungen mit großer, visueller Überzeugungskraft hervorbringen. Hornek nutzt diese Deep-Learning-Algorithmen, um Bilder dessen entstehen zu lassen, was (noch) nicht ist. Aneinandergereiht zu Filmen, bewirkt die ständige Transformation der Bilder, dass wir den festen Boden unter uns als geformt und unstatisch wahrnehmen können. Anders als das Material, das in den Archiven der Stadt bewahrt wird, erfassen die Bilder der StyleGANs nicht Vergangenes, sondern schaffen durch Rekombinationen einen Raum von Möglichkeiten. Sie werfen somit einen Blick auf eine von unzähligen, möglichen Zukünften.

Katrin Hornek überführt dieses Potenzial zurück in den analogen Raum, indem sie digitale Objekte, die im Prozess der synthetischen Bilderzeugung geschaffen wurden, als Skulpturen analoge Gestalt annehmen lässt. Latent Soils ermöglicht im Kunstraum Lakeside, die Formung des Grunds – in den Worten der Künstlerin – „auf molekularen und planetarischen Skalen, durch multiple Agent*innen und Kräfte in einem Zusammenspiel von menschlichen und nichtmenschlichen Anteilen“ zu begreifen. Begreifen bedeutet in diesem Zusammenhang weniger ein rationales Erfassen als das Gespür für Größen und Zeitspannen.  

 

Produktion & künstlerische Begleitung: TE-R

Mit herzlichem Dank an: Kira Lappé, Martin Mosser (Stadtarchäologie Wien) und Bruno Szenk

Mit finanzieller Unterstützung von: WWTF

Text: Gudrun Ratzinger